Die ISWI 2019 – Zwischen Tänzen, Traditionen und Ticketschaltern
Eine vietnamesische Studentin steht – etwas ratlos -in einem Bahnhof vor einer buntblinkenden Kontrollschleuse. Der Mann im weißen Anzug vor ihr gibt ihr lautstark Anweisungen: „Walk slowly! No, no. Start again. Now turn around. Stop!“ Es bildet sich eine Traube von Menschen um sie herum, die stetig wächst. Halb belustigte, halb verwunderte Blicke verfolgen, wie das Mädchen noch einmal rückwärtsrennend die Schleuse durchquert. Der Mann im weißen Anzug sieht sie prüfend an. Wäre dies ein echter Bahnhof, hätte unsere Studentin jetzt ein Problem. Doch, werte Leser und Leserinnen wir befinden uns in „Time Travel Station“. Darf ich vorstellen: das verrückteste Kulturprojekt der diesjährigen ISWI 2019! Fast ein Jahr hat es gedauert bis das Kulturteam diese Idee für die Internationale Studierendenwoche in Ilmenau verwirklichen konnte. Dann war es soweit, das gesamte Foyer des Humboldtbaus der Technischen Universität wurde innerhalb weniger Stunden in einen Zeitreisebahnhof verwandelt. Graue Stoffbahnen spannten sich über den Köpfen zu einer majestätischen Hallendecke, zwei Zeitreisende beugten sich über einen kleinen gelben Ticketschalter. Hinter ihnen hatte sich bereits eine beachtliche Schlange gebildet, durch die ein Dieb in braunen Lumpen huschte. Undeutliche Ansagen aus knisternden Lautsprechern und umherwandernde Marsmenschen, die Interviews für ihre eigene TV- Show drehten, vervollständigten das Bild. Wer hier ein Ticket bekam oder in einen Expresszug stieg, wurde entweder von einer kostümierten Person zu einem geschlossenen Workshop geleitet oder konnte vor dem Bahnhofsgelände selbst von Stand zu Stand laufen. Passend zum diesjährigen Thema Tradition und Wandel wurden in diesen Mitmach-Workshops Handwerk von gestern und Technik von heute nebeneinandergestellt und für die Besucher*innen anfass- und erlebbar gemacht.
Einen Wandel erlebte auch das stille, gerade aus dem Winterschlaf erwachte Ilmenau als am Freitag, den 17.05. die ersten Teilnehmenden am Ilmenauer Bahnhof (diesmal kein fiktiver) eintrafen. Nachdem unsere insgesamt 336 internationalen Gäste erfolgreich bei sogenannten „Hosts“ (meist Studierende und Stadtbewohner*innen, die einen Schlafplatz und ein kleines Frühstück bereitstellten) untergebracht waren, begann für sie bereits am Samstag die Woche mit vollem Programm. Aufgewärmt durch das Sportfest, begegneten unsere Teilis zum ersten Mal ihren jeweiligen „Groupleadern“. Abends wurde die 14. Internationale Studierendenwoche dann feierlich mit der Eröffnungsveranstaltung und der Welcome Party eingeläutet. Doch in dieser Woche ging es nicht nur um Partys. In vier Tagen Gruppenarbeit zu verschiedenen Themen wie Philosophie, Menschenrechte, Umwelt hatten alle Teilnehmenden unter dem Motto „Vom Wandel und Möglichkeiten: Auf (ein) Wiedersehen, Tradition?“ die Chance, gegenseitige Vorurteile zu überwinden, Vorschläge auszutauschen, Problemlösungen zu diskutieren und gemeinsam neue Ideen zu entwickeln. Inspiration bot dazu neben Vorträgen zu den Themen Umweltschutz und Rechtspopulismus, einer Podiumsdiskussion zum Thema Migration sowie den zwei Filmvorführungen von „The Cleaners“ und „Female Pleasure“ unter anderem auch der Eröffnungsvortrag von dem norwegischen Friedensaktivist Dr. Steinar Bryn, der Friedensprojekte auf dem Balkan und weltweit begleitet und mit seiner kritischen Auseinandersetzung zum Thema „Dialog“ auch unsere internationalen Gäste zum Denken und Debattieren anregte.
Und wie kann man Menschen unterschiedlichster Herkunft noch zum gegenseitigen Austausch verhelfen? Natürlich durch Musik, Essen und Tanzen! Genau diese Voraussetzungen waren beim World Food Festival am Sonntag, den 19.05. gegeben. Trotz mürrischen Wetters, das selbst eingefleischte Ilmenauer*innen mit Hagelregen in Bedrängnis brachte, herrschte in der Eishalle eine ausgelassene Stimmung. Von Philippinischer Schokolade bis hin zu bulgarischem Gebäck konnte man sich quer durch die Welt verkosten, zwischen den Tischen hin und her schlendern und die bunten Gewänder der kulinarischen Experten bewundern. Die kleine Tanzfläche wurde fast überrannt von Liederdarbietungen, Traditionellen Tänzen und der lachenden hüpfenden Masse.
Den kulturellen Höhepunkt bildete jedoch das Open Air am Mittwoch, den 21.05., welches die Eishalle noch einmal fast füllte. Die tanzende Menge konnte sich unter den bunt kreisenden Lichtern zu Rhythmen und Melodien der Thüringer Band Skavida und der Reggae Queen Sista Awa und ihrer Crew bewegen. Den krönenden Abschluss spielte die Deutsch-brasilianische Musikgruppe Emersound, die mit ihrem bunten Mix aus Hip Hop und lateinamerikanischen Klängen unsere Zuschauer*innen mit müden Füßen aber lächelnden Gesichtern in die Nacht entließen. Schließlich wartete der nächste Tag mit den aufregenden Möglichkeiten des Share Spaces. Es handelte sich um einen Tag, bei dem die Studierenden selbst Vorträge oder Workshops zu beliebigen Themen anbieten konnten. Ihnen waren keinerlei Grenzen gesetzt. Die einzige Regel: die Zeit zu nutzen, in sich selbst vertrauen, und seine bzw. ihre beiden Füße zu benutzen, sobald man nichts mehr lernt, um zu einem anderen Workshop zu gehen. So entstanden neben Diskussionen zum Thema Bildung und Frauenrechte unter anderem ein Meditations- und Entspannungskurs.
Es wurde gelacht, geredet, getanzt und plötzlich, schneller als gedacht war der Tag der Präsentationen und der Abschlussveranstaltung gekommen. Das Programm war ebenso vielfältig wie die jeweiligen Gruppenmitglieder: Musik, Tanz, Theater, Kurzfilme und flammende Reden wurden vorgetragen und gezeigt.
Und dann war es da: das ISWI-Gefühl. Denn es spielte keine Rolle mehr, dass die Teilnehmenden 77 verschiedene Nationalitäten vorwiesen. Im Audimax standen in diesem Moment keine Ländergrenzen im Weg. Alle lachten und lauschten als Teil dieser Welt, die sie verändern möchten. Auch wenn verschiedenste Ansichten zum Motto vorlagen, jedem*jeder ist in den 10 Tagen klar geworden, dass Traditionen gemeinsamer Freundschaft nicht im Wege stehen. Und vielleicht nehmen sie nicht nur ihre Koffer wieder zurück, sondern tragen auch ein kleines bisschen Wandel in die Welt hinaus.